Überholen von Lang-Lkw – Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit und den Verkehrsablauf
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Ausgangssituation und Zielsetzung
Seit 2012 wird in Deutschland unter der Federführung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) ein Feldversuch mit Lang-Lkw durchgeführt. Lang-Lkw dürfen lediglich ein definiertes Straßennetz (Positivnetz) befahren und müssen sich dabei an besondere straßenverkehrsrechtliche Regeln halten. Bereits in der ersten Phase der wissenschaftlichen Begleitung des Feldversuchs wurde in einem der externen Forschungsvorhaben von ZIMMERMANN et al. (2015) das Thema Überholen im Zusammenhang mit Lang-Lkw betrachtet. Dabei wurden das Annäherungs-, Ausscher-, Vorbeifahrt- und Einscherverhalten bei Überholvorgängen gegenüber Lang-Lkw auf Landstraßen und Autobahnen untersucht. Diese Daten wurden letztendlich im Vergleich zu Überholungen von Standard-Lkw dahingehend analysiert, inwieweit bei einem künftigen Regeleinsatz von Lang-Lkw ein erhöhtes Sicherheitsrisiko durch Überholvorgänge vor allem auf einbahnigen Landstraßen zu erwarten sei.
Untersuchungsmethode
Die Untersuchung wurde im Rahmen von zwei Forschungsvorhaben durchgeführt: In der ersten Phase wurden die beiden Aspekte Überholen und Räumen betrachtet, in einer zweiten Phase wurde das Thema Überholen nochmals vertieft, da die Ergebnisse der ersten Phase abgesichert werden sollten.
Für die Erhebungen konnten zwei am Feldversuch teilnehmende Speditionen ausgewählt werden. Der (Lang-)Lkw der Spedition A wurde zur Erhebung relevanter Daten mit einem kombinierten System aus Radartechnik - zur datenmäßigen Vorauswahl relevanter Szenen und der Bereitstellung von relativen Geschwindigkeitsinformationen - sowie digitaler Videotechnik - für die qualitative Beobachtung der Fahrvorgänge - ausgestattet. Grundlage zur Verortung der beobachteten Situationen im Straßennetz und der Geschwindigkeit des (Lang-)Lkw bildet die Positions- und Geschwindigkeitsschätzung mittels GPS.
Bei der begleiteten Spedition B wurde sowohl im Fahrerhaus der Zugmaschine des (Lang)-Lkw als auch in einer Aufnahmebox am Heck jeweils eine Fahrzeugkamera mit integriertem GPS-Empfänger installiert. Die Fahrzeugkamera erfasste so alle beteiligten anderen Fahrzeuge - Überholer während der Ein- und Ausscherphase und entgegenkommendes Fahrzeug - sowohl in der Annäherung als auch der Entfernung nach dem beobachteten Überholvorgang.
Ergebnisse
Aus diesen Datenanalysen sowie vollständig vorhandenen Videoaufzeichnungen von 215 Überholungen im Gegenverkehr gegenüber Lang-Lkw (133) bzw. Sattelkraftfahrzeug als Vergleichsfahrzeugen (82) lassen sich keine Indizien für ein erhöhtes Risiko beim Überholen von Lang-Lkw erkennen. Die Verteilung der ermittelten Sicherheitsabstände bei Überholungen gegenüber Lang-Lkw ist gegenüber denen bei Vergleichs-Lkw bei insgesamt geringen Unterschieden in allen betrachteten Teilkollektiven günstiger. In jedem Fall ist feststellbar, dass die Verhaltensweisen vor allem zu Beginn der Überholung und während des Überholvorgangs bei den Lang-Lkw-Überholungen etwas günstiger sind. Insbesondere die Beschleunigungen im Vorfeld liegen höher. Dies und die geringeren Überholweglängen lassen vermuten, dass – evtl. auch durch Gewöhnungseffekte an die im Untersuchungsgebiet regelmäßig fahrenden Lang-Lkw – sich die Überholer der Randbedingungen bewusst sind und darauf entsprechend reagieren.